Warum ist Therapietreue („compliance“) wichtig?
Durch die Entwicklung neuer zielgerichteter Therapien (z. B. Imatinib) wird der therapeutische Erfolg unter anderem wesentlich durch das Therapieverhalten des Patienten beeinflusst. Aufgrund der oralen Darreichungsform ändern sich die Bedingungen zur Behandlung der PatientInnen insofern, als kürzere Krankenhausaufenthalte und eine bessere Lebensqualität in sozialer und familiärer Hinsicht gewährleistet werden. Somit ist die/der PatientIn bis zu einem gewissen Grad durch eine neue Form der „therapeutischen Selbstständigkeit“ für den Therapieerfolg mitverantwortlich. Die Einhaltung der gemeinsam von der/dem Patientin/Patienten und Ärztin/Arzt gesetzten Therapieziele werden in der Fachsprache mit den Begriffen „adherence“ bzw. „compliance“ (engl. für festhalten, befolgen) zusammengefasst.
Gemäß einer Definition der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahre 2003 versteht man unter diesen Begriffen das Ausmaß, in dem das Verhalten der/des Patientin/Patienten den Empfehlungen der Therapie entspricht, die mit dem Verschreiber gemeinsam beschlossen wurden. Eine Unterscheidung zwischen den Begriffen „adherence“ und „compliance“ wird dabei insofern getroffen, als der Begriff der Adhärenz das Einverständnis der/des Patientin/Patienten zur Therapie voraussetzt.
In dem Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahre 2003 werden darüber hinaus fünf Dimensionen angeführt, die die Medikamenten-Adhärenz beeinflussen. Diese Dimensionen, die sich wiederum aus verschiedenen Faktoren zusammensetzen, können in unterschiedlicher Häufigkeit und Dominanz auftreten. Neben sozialökonomischen und auf das Gesundheitssystem bezogenen Faktoren stellen krankheitsbezogene, therapiebezogene und patientenbezogene Faktoren die wesentlichen Einflussgrößen für die Medikamenten-Adhärenz dar.
Die Einhaltung bzw. Nichteinhaltung der Therapieempfehlung erfolgt dabei unter anderem durch Selbsteinschätzung der PatientInnen mittels Fragebögen, durch Nachzählen der verbleibenden Tabletten/Kapseln zum Zeitpunkt der Therapieverlaufskontrolle sowie durch elektronische Messungen. Dabei werden elektronische Geräte benutzt, die aufzeichnen, wann die Medikamentenschachtel geöffnet wird. Eine absolute Verlässlichkeit ist jedoch durch keine der angeführten Methoden gewährleistet.
Durch die neuen oralen Behandlungsformen nehmen PatientInnen mit GIST durch Einhaltung der Adhärenz selbst Einfluss auf die Erfolgschancen der Behandlung und somit auch auf die eigenen Überlebenschancen. Es besteht jedoch gegenwärtig keine einheitliche Übereinstimmung hinsichtlich des Schwellenwertes, der eine Unterscheidung zwischen adäquater und inadäquater Adhärenz erlaubt. Während in manchen Studien Adhärenzraten von ≥ 80% als akzeptabel angesehen werden, gelten in anderen Studien wiederum Adhärenzraten von mehr > 95% als verpflichtend für eine adäquate Medikamenten-Adhärenz.
Die häufigste Ursache einer Adhärenzabweichung stellt die tage- bzw. wochenweise fehlende Medikamenteneinnahme dar. Gelegentlich kommt es allerdings auch vor, dass eine höhere als die verschriebene Dosis eingenommen wird. Argumente, die von den PatientInnen dafür verantwortlich gemacht werden, sind: Vergesslichkeit (30%), andere Prioritäten (60%), persönliche Entscheidungen für Unregelmäßigkeiten in der Therapieeinnahme (11%), fehlende bzw. mangelnde Information (9%) und emotionale Faktoren (7%). Dagegen geben ein Drittel der PatientInnen keine Gründe für eine unregelmäßige Medikamenteneinnahme an.
Die Behandlung von fortgeschrittenem GIST stellt eine Langzeitbehandlung dar und erfordert die tägliche Einnahme von 400 mg Imatinib. Selbst wenn es sich dabei aus Sicht der PatientInnen um „einfache“ Tabletten/Kapseln handelt, muss sich die/der Patientin/Patient darüber bewusst sein, dass es sich dabei um eine „echte“ Krebstherapie handelt, deren Wirksamkeit nur bei regelmäßiger Einnahme gewährleistet ist. Beeinflussungen der Lebensqualität durch therapieassoziierte Nebenwirkungen führen allerdings oftmals zu eigenverantwortlichen Therapiebefolgungen jenseits der ärztlichen Empfehlungen.
Die daraus oft resultierenden Verhaltensweisen, die zu Adhärenzabweichungen führen, beinhalten unter anderem die spontane Änderung der Dosierung, die zeitweilige und wiederholte Unterbrechung der Behandlung sowie das Abbrechen der Therapie. Langfristig wird dadurch nicht nur die Wirksamkeit der Therapie negativ beeinflusst, sondern unter Umständen auch die Überlebenschance verringert. Mangelndes Adhärenzverhalten führt jedoch nicht nur zu gesundheitlichen, sondern auch zu wirtschaftlichen Folgen. Die dadurch bedingten häufigeren Arztbesuche, neuen Arzneimittelverschreibungen, zusätzlichen Untersuchungen und unvorhergesehenen Krankenhausaufenthalte stellen Zusatzkosten für das Gesundheitssystem dar, die vermeidbar sind.
In einer französischen Studie wurden die Auswirkungen einer kontinuierlichen Adhärenz versus fehlenden Adhärenz (= Therapieabbruch) unter kontrollierten Bedingungen untersucht. Das damit verbundene reale Risiko eines klinisch bedeutsamen frühzeitigeren Fortschreitens der Erkrankung bzw. Wiederauftretens der Erkrankung konnte dabei nachgewiesen werden.
Hinsichtlich des Adhärenzverhaltens bei GIST-PatientInnen sind Erkenntnisse darüber gegenwärtig sehr begrenzt. Dagegen ist das Adhärenzverhalten bei PatientInnen mit chronischer myeloischer Leukämie, die standardmäßig ebenfalls mit Imatinib behandelt werden, besser untersucht. So wurde beispielsweise in einer belgischen Studie das Adhärenzverhalten von 169 PatientInnen über einen Zeitraum von drei Monaten analysiert. Eine perfekte Medikamenten-Adhärenz konnte dabei in nur 14% der untersuchten PatientInnen beobachtet werden. Bei 86% der PatientInnen wurde eine Abweichung der Medikamenteneinnahme festgestellt, wobei 71% weniger als die vorgeschriebene Dosis einnahmen. Die Auswirkungen auf den Therapieerfolg wurden in einer weiteren, von England aus initiierten Studie untersucht. Demnach war ein Therapieerfolg nur dann gewährleistet, wenn die PatientInnen über einen Zeitraum von drei Monaten mehr als 90% der vorgeschriebenen Dosis einnahmen.
Im Hinblick auf eine Verbesserung des Adhärenzverhaltens und damit der Sicherheit für die PatientInnen gilt es, alle motivationsfördernden Maßnahmen auszuschöpfen und Faktoren, die zu einer mangelhaften Adhärenz führen, weitestgehend auszuschalten. Der Erfolg hängt dabei wesentlich von der Kommunikation zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient ab. Interventionsstrategien sollten demnach den Bedürfnissen der/des einzelnen Patientin/Patienten angepasst werden und auf eine sorgfältige Erfassung der vorhandenen Risikofaktoren (z. B. ungenügendes Wissen, starke Beeinträchtigung durch die Nebenwirkungen, fehlende soziale Unterstützung etc.) abzielen.
Thomas Kühr